20. Gastbeitrag: Nupsi

12.04.10

An dieser Stelle folgt der 20. Gastbeitrag aus der Blog-Reihe: „Ich sehe was, was du nicht siehst„. Geschrieben, gedacht, gesehen von Phil , dessen Blog Murmeltiertag ihr jederzeit besuchen könnt, wenn ihr mehr von ihm lesen wollt.

Nupsi

Es war einer jener heißen Sommer vor gar nicht vielen Jahren und ich befinde mich auf der Rückreise von einer Niederlassung meines damaligen Kunden in Berlin. Am Frankfurter Flughafen angekommen, verlasse ich das klimatisierte Terminal 1 und warte im Tiefbahnhof auf jene S-Bahn, die mich ans andere Ende der Stadt zur Zentrale meines Auftraggebers bringen soll.

Obwohl die weit unter der Erde liegende Trasse Kühle versprechen sollte, bekomme ich ein Gespür von den aktuell in Frankfurt herrschenden Temperaturen und ahne, dass mich gleissende Hitze nach dem Verlassen des Tunnels erwarten wird, da der größte Teil der vor mir liegenden Wegstrecke überirdisch verläuft. Die im Minutentakt eintreffenden Züge erwärmen den Bahnhof, indem sie bei jedem ihrer Halts durch das Öffnen ihrer Türen die brodelnde Wärme des Sommers unter Tage transportieren und auf die Bahnsteige spucken.

Frankfurt und das Rhein-Main-Gebiet liegen geografisch so günstig, dass es hier immer ein wenig wärmer als in meisten anderen Gegenden Deutschlands ist; im Winter sowieso und im Sommer erst recht. Ein Seufzer dringt aus meiner Brust, während ich an mir herunter schaue. Dunkler, fast schwarzer Anzug, langärmeliges Hemd mit Unterhemd drunter und Trolley, Pilotenkoffer plus Tasche mit Laptop im Schlepptau sind alles andere als hitzekompatibles Equipement, wurmt es in mir. Drei Hitzeladungen später rollt endlich meine S-Bahn auf den stark und nach warmen Öl riechenden Gleisen ein und als sich deren eine Tür vor mir öffnet, habe ich das Gefühl in meiner Küche den Ofen zu öffnen, um ein soeben fertig gebackenes Gericht zu entnehmen.

So steige ich in den Waggon ein in der stillen Ergebenheit, mich nun gleich braten zu lassen und bin zumindest froh, dass die Abteile nicht überfüllt sind, durch die Ausstrahlung vieler eng aneinander gequetschter Menschenleiber noch mehr aufgeheizt werden und erst recht nicht durch diverse Körperausdünstungen mich an diverse Tierkäfige im Frankfurter Zoo erinnern zu müssen. Kein Wunder, denke ich, dass es so leer ist, denn die meisten Leute nehmen an Tagen wie diesen frei, nehmen Urlaub oder gleiten mit der Zeit, liegen im schattigen Garten ihrer Laube, räkeln sich am Badesee, um dort das kühle Nass zu suchen oder gehen all sonstigen Aktivitäten nach, die ihnen die Sonnenglut erträglich machen würde.

Noch bevor wir ans Tageslicht fahren werden, habe ich bereits sämtliche lebenden und längst gestorbenen Konstrukteure wie auch Kunden öffentlicher Transportmittel verflucht, sofern sie alle diese ohne eine adäquate Klimaanlage ausgestattet hatten; im tiefsten Orkus mögen sie alle schmoren, jenem Ort kaum heißer als die mich gleich erwartenden Außentemperaturen. Zwei Stationen hinter dem Frankfurter Hauptbahnhof spuckt die Erde meinen Zug aus und kaum zwei Stationen weiter haben sich Innen- wie auch Außentemperatur nivelliert. Die kleinen Klappfenster über den verkratzen und mit Graffitis verschmierten Scheiben schließen oder offen lassen überlege ich, aber irgendwie ist diese zu treffende Entscheidung wie die Wahl zwischen Pest oder Cholera – ersticken oder verglühen heißen die Alternativen, von denen keine auch nur eine mögliche ist.

Mein Gepäck großzügig auf den zwei Bänken um mich herum drapiert hoffe ich, dass in dem zur Hälfte mit schwitzenden Menschen gefüllten Abteil sich niemand neues zu mir setzen möge und die Rechnung geht bisher auf, so dass ich allein mit meinem Schicksal in diesem rollenden Backschlauch hadere und langsam wirre Phantasien entwickele, die von Eisbergen, riesigen Ventilatoren sowie einem beruflichen Neustart als Endkontrolleur in einer Fabrik für Klimaanlagen handeln. Mit geschlossenen Augen weiter träumend -inzwischen bei einer Südpolerkundung gelandet- fährt die S-Bahn wieder ruckelnd an. Ich öffne meine von feinem Schweiß benetzten Lider und blicke auf zwei Knie, unter denen zwei schlanke Unterschenkel in pinkfarbenen Flipflops die Sitzbank mir gegenüber zieren.

Meinen Blick nach oben wandern lassend, gesellen sich ein Roman aus der aktuellen Bestsellerliste zwischen zwei zierlichen Hände, ein helles Sommerkleid mit Spaghettiträgern, ein langer wie auch schmaler Hals mit zauberhaftem Gesicht darüber hinzu, welch alles mich blitzartig aus meinen Kältespinnereien reißen lässt. Zwei Smaragde rechts und linkst einer schmalen Nase blinzeln mich prüfend an, weilen ein paar Sekunden auf meinem Gesicht, scheinen kurz nachzudenken und ihr Mund, den jenes süße kleine M auf der Mitte der Oberlippe ziert, flüstert mir ein leises Hallo zu.

Sonst nie um Worte verlegen, hat es mir nun die Sprache verschlagen und ich begreife plötzlich, was die Leute immer gemeint hatten, wenn sie vom Blitzschlag redeten. Eh kaum schon Luft bekommend, fange ich beinahe das Hecheln an und meine bislang mäßige Schweißproduktion erhöht sich auf Maximalausstoss. Alles stimmt, denke ich und versuche das Mustern meiner Augen so unauffällig wie möglich geschehen zu lassen. Immer wieder blickt sie über ihrem Buch verstohlen zu mir hinüber, mich ebenfalls verstohlen musternd; ab und zu mit den Fingern ihr dunkelblondes, langes Haar richtend, ab und zu beim Hinüberlunsen zu mir ihren Kopf leicht neigend. Das sind doch alles unbewusste Gesten einer Frau, die einen Mann attraktiv finden, sinniere ich und überlege, wo ich das einmal gelesen hatte.

Sie hat eine bunt bedruckte Badetasche dabei mit einer Isomatte oben auf geschnallt und ich könnte brühend heiß kotzen, dass ich jetzt noch ins Büro muss. Gern würde ich sie fragen, wo sie denn schwimmen ginge, bin mir aber sicher, dass vor lauter Kloß im Hals kein Laut über meine Lippen käme. Unter ihrem Kleidchen heben und senken sich ihre Brüste, kaum mehr als je eine Handvoll in jener idealen Parabel geformt, die ihre Warzen leicht nach oben zeigen lassen. Zwei sich auf und ab bewegende Punkte der Lust, mich fixierend und plötzlich daran denken lassend, dass jene ideale Größe und Form auch im Alter der Gravitation trotzen würde.

Unter meinem Anzug haben sich inzwischen Hemd und Unterhemd mit Schweiß vollgesaugt und selbst die Anzughose beginnt, sich nasskalt wie auch klebrig an meinen Beinen festzuklammern. Warum hast Du heute morgen nur eine leichte Shorts angezogen, schießt es mir durch den Kopf, während ich versuche, meine Augen nicht auf ihren Schoss zu richten, denn unter dem hellen Kleid mir gegenüber zeichnet sich nichts ab, was auch nur annähernd nach einem Bikiniunterteil oder Höschen aussehen würde und warum bekommst Du Trottel ausgerechnet jetzt einen Ständer? verfluche ich mich. Seit wann verliebt man sich und bekommt gleichzeitig einen Harten? philosophierend scheitert auch jene Frage der Fragen, das mir im Kopf fehlende Blut in ihn zurück zu pumpen und versuche wohl höchst lächerlich, jene die Hose entstellende Beule mit der Laptoptasche zu kaschieren.

Die Winkel ihres Mundes scheinen nun ein wenig höher zu zeigen als wenige Minuten zuvor, ohne jedoch spöttisch zu wirken und ihr Buch ruht jetzt zwischen ihren Oberschenkeln, auf deren leichter Pflaum aus winzigen Härchen sich ein hauchdünner Film aus Schweiß abzeichnet. Immer noch überlegend, welche meiner ersten Worte an sie die richtigen oder falschen wären, fahren wir an jenem Campingplatz kurz hinter Heddernheim vorbei, der an einem kleinem Badesee liegt, als die S-Bahn hält. Mit beiden Daumen streicht sie mir das Nass meiner Augenbrauen zur Seite, hält kurz mein Gesicht in ihren außergewöhnlich kühlen Händen und flüstert mir Kommst Du nachher mit mir schwimmen? Hast Du Lust mit mir zu ertrinken? zu, nickt mit ihrem Kopf leicht in Richtung der Ansammlung von Wohnwagen und steigt aus.

Während der Zug losfährt, stiere ich ihrem wippenden Kleid und der lustig schwingenden Badetasche hinterher, sprachlos, mit trockenem Hals ob ihrer ersten Worte, so richtig gewählt. Die Hitze nicht mehr spürend, steige ich zwei Stationen weiter aus und betrete die angenehm klimatisierten Räumlichkeiten meines Kunden, um ihm den Bericht meiner Aktivitäten aus Berlin zu präsentieren. Fragen über Fragen prasseln auf mich ein, viele Problemstellungen werden erörtert und gelöst, so dass der Rest jenes Nachmittags verfliegt und als ich endlich das Büro verlasse, es längst dunkel geworden ist.

In meinem kühlen 5er BMW fahre ich nach Büroschluss auf dem Weg zu mir nach Hause an jenem Campingsee vorbei, in dessen abendlichen Wasserschein sich die bunten Lichterketten des ihn angrenzenden Biergartens spiegeln. Mich fröstelt, es ist jetzt wohl zu spät, um noch schwimmen zu gehen und drehe die Klimaanlage herunter. Du hast nichts, hadere ich mit mir selbst, keinen Namen, keine Telefonnummer, keine Mail, kein Nichts, während ich die Wohnwagenkolonie passiere ohne anzuhalten. Zu spät, wie so oft in meinem Leben werde ich ankommen wie gleichzeitig auch wieder nicht und gebe ihr, damit ich sie nie vergessen würde, den Namen Nupsi.

Phil

Der nächste Beitrag wird voraussichtlich am  20. April folgen und sich mit einem dieser drei Themen befassen: