Virale Inhalte und Memes

13.12.13

Ein Gif – wenn man es ansieht, bleibt der Blick hängen. Das Bild ist eine Endlosschleife; zu sehen ist ein Mann, der offensichtlich schläft. Mehrere Sekunden passiert nichts, plötzlich wacht er auf und guckt verdutzt in die Kamera. Einige Sekunden vergehen und er fällt wieder zurück in seinen Schlaf.

(via)

Die Szene ist aus dem Film Fight Club, dort steht sie für die Rastlosigkeit des Protagonisten. Das Gif hingegen hat eine ganz andere Ästhetik, es strahlt Ruhe aus. Das Bild ist professionell, außerdem ist es einfach zu konsumieren: Wer es sieht, versteht es sofort. Doch dass dieses Bild so einfach konsumierbar ist, hat mit einer jahrelangen Entwicklung zu tun, die zurückreicht bis in die Internet-Kultur.

Entwicklung in Kurzfassung

Das Bild von Norton hat keinen Untertitel, das heißt, es funktioniert für sich. Bis solche Bilder „akzeptiert“ wurden, haben sie eine Entwicklung durchgemacht. Diese ist zwar zwangsläufig chronologisch (alleine schon, weil das Internet kein einzelner Ort ist, sondern durchaus verschiedene Geschwindigkeiten kennt).

Das „Vorgängermodell“ zur ästhetischen Kino-Inszenierung als Endlosschleife ist ein sogenanntes Reaction-Gif (ein Phänomen, das beispielsweise auf Reddit einen eigenen Subreddit hat). Diese Gifs sind niemals nur zum Gucken schön, sie kommunizieren auch eine Botschaft: die im Namen enthaltene Reaktion. Diese Gifs erlangten im letzten Jahr weltweit besondere Aufmerksamkeit. Auslöser waren unter anderem mehrere Blogs mit dem Titel „When you live in“, gefolgt von einem Städtenamen (Bsp.: Berlin, Köln, New York). In diesen Blogs wurde jeweils ein Spruch, der einen spezifischen Charakterzug einer Stadt betonen sollte, verbunden mit einem entsprechenden Bild.

Damit haben wir eine neue Ebene – Text. Gleichzeitig haben wir eine Ebene verloren – die der Ästhetik. Denn Reaction Gifs sind nicht so sauber geschnitten wie die Kino-Gifs von if we don’t, remember me – der Tumblr „features animated Gifs based on classic films, in which only part of the image moves, and only in a brief, continuous loop“ (via McCracken, Harry). Die Übergänge sind gebrochen, man sieht einen klaren Schnitt. Reaction Gifs stehen auf der Skala der Professionalität einen Schritt unter Kino. Konsumierbar, aber nicht schön.

Noch einen Schritt weiter nach unten führt die Meme-Kultur: Die Fokussierung ausschließlich auf ein Bild und Text. Hier zu betonen, ist die schwere Konsumierbarkeit, wie wir sie von den Awkward Animals kennen. Bild und Text, in der Wirkung ähnlich wie Reaction Gifs, eben nur nicht animiert. Doch das wäre theoretisch zu kurz gegriffen. Denn was bei den Animals wichtig wird, ist der Kontext. Reaction Gifs stellen diesen durch den Text her, die Kinobilder brauchten keinen Kontext, da sie einfach nur über die Ästhetik funktioniert haben. Jetzt aber sind wir an einem Punkt, an dem die Bilder erklärt werden müssen. Wofür steht ein Pinguin? Man muss wissen, dass es bei diesem Tier immer und ausschließlich um Situationen geht, in denen der Protagonist sich komisch benimmt. Die Hand heben will, um ein Highfive zu geben, stattdessen der Person gegenüber ins Gesicht klatscht.

 

A close look at particular examples of Internet “memes” or “viruses” highlight the ways they have mutated as they have traveled through an increasingly participatory culture.

(via Henry Jenkins et al (2010): “If it doesn’t spread it’s dead”)

Unterschied: „viral“ oder „Mem“?

Diese Bildkultur ist formal gesehen genau die gleiche, wie die des schlafenden Mannes. Genauer gesagt: Ohne Animals keine Animation, keine Entwicklung, kein Verstehen. Der als socially awkward bekannte Pinguin ist ein sogenanntes „advice animal“ – „featuring a penguin lacking both social skills and self esteem. The text typically narrates uncomfortable life situations, highlighting an exceptionally clumsy or inelegant response.“ (via knowyourmeme) – aber wie wurde er zum Mem?

Ursprünglich fotografiert von George F. Mobley für die National Geographic’s Wild Animal, ging er im Mai 2009 über 4chan in die Internet-Communities, ehe er über die Plattform hinaus zum Mem wurde. Der Blog Fuck Yeah Socially Awkward Penguin entstand, der Pinguin wurde über Sub-Boards von 4chan verteilt und fand im September schließlich auch seinen Weg zu Reddit. 2010 gestaltete Buzzfeed einen Post mit Bildern des Pinguins, kurz darauf folgten Smosh und Street Couch. (vgl. knowyourmeme)

Der Unterschied zwischen „Viralem“ und „Memes“ ist denkbar simpel: Während virale Inhalte statisch sind und beim Weiterreichen an andere Personen gleich bleiben, ist ein Mem eine sich wandelnde Idee.

Both terms seek to explain the process of cultural transmission but do so in such a way they strip aside the social and cultural contexts in which ideas circulate, and the human choices which determine which ideas get replicated.

Talking about memes and viral media places an emphasis on the replication of the original idea, which fails to consider the everyday reality of communication — that ideas get transformed, repurposed, or distorted as they pass from hand to hand, a process which has been accelerated as we move into network culture.

(via Henry Jenkins et al (2010): “If it doesn’t spread it’s dead”)

Dem entsprechend sind Memes langlebiger, da sie immer neue Verwendungsmöglichkeiten anbieten, während z. B. viral gegangene Videos irgendwann von gefühlt allen gesehen wurden und höchstens noch eine Anknüpfung in Form von beispielsweise Reaction-Videos o. ä. stattfinden kann.


Entstanden in Zusammenarbeit mit Hakan Tanriverdi von sueddeutsche.de, der zusammen mit Ole Reißmann von Spiegel Online zum Thema „Netzkultur ohne niedliche Katzen: die dunklen, seltsamen und verstörenden Ecken des Web“ auf dem Zündfunk-Netzkongress referierte.

(Ursprünglich erschienen auf The End of Theory)