Frohes Neues

01.01.10

Ein nachdenklicher Blick in den Himmel bestätigte es ihm: Ein katastrophales Jahr war im Anmarsch. Generell war es natürlich gleichgültig, wohin er sah. Auch ein Blick vor seine Füße oder zur Seite hätten ihn zu diesem Ergebnis kommen lassen – wäre aber weniger melodramatisch gewesen.

Das Jahr würde katastrophal werden und es gab nichts, was er dagegen tun könnte. Es würde werden, wie es immer war.

Eingeläutet werden würde das Jahr mit zu vielen Raketen, die die Luft mit einem dichten Rauch erfüllten, der sich wie ein eisernes Band um seine schmale Brust legte, ihn husten ließ – heimlich, hinter vorgehaltener Hand, um seine Schwäche vor den anderen zu verbergen – und ihm, symbolisch für alles kommende, die Luft abschnürte. Noch Tage später wäre dieses Kratzen in seinem Hals, das sich während der ersten Stunden noch als verrußte Lunge tarnen ließ, später jedoch als beginnende Erkältung realisiert werden müsste – die Silvesternacht, so kalt wie Eis.

War ja auch egal. Erkältung hin oder her – nur einer von vielen Beweisen, die er letztendlich 12 Monate später vorweisen konnte, um sich selbst zu bestätigen, wie katastrophal das Jahr denn gewesen war. Begonnen mit einer Erkältung. Nicht mal das blieb ihm erspart.

Mit stoischer Miene zog er sein kleines Notizbuch hervor – schwarz, Ledereinband. Ein wenig Luxus war ja wohl noch erlaubt – und kritzelte auf die erste leere Seite: Erkältung. Kurz überlegte er, das Wort zu unterstreichen, entschied sich jedoch dagegen. Die Dramatik war ersichtlich, eine Unterstreichung unnötig.

„Was machst du?“ – „Ach nichts.“

Als ob sich irgendjemand dafür interessierte, was er tat. Würde eh niemand verstehen.

Knallend, funkensprühend und viel zu laut fielen die Kracher vor seine Füße. Der eisige Sprühregen mischte sich mit dem glühenden Wasauchimmer. Woraus Kracher halt gemacht waren. Irgendein Pulver. Ein wenig Chemie, die für Stimmung sorgte. Oder auch nicht. Wenigstens hatte er so getan als ob. Den Schein gewahrt. Die Maske des neuen Jahres aufgesetzt. Die Auswahl war ohnehin gering, denn die anderen wollten eh immer nur eins sehen: Unbeschwertheit, Freude, Zufriedenheit. Halt all das, was einen Normalo ausmachte.

Die Kracher erloschen. Die Raketen wurden weniger, bis kein Licht mehr den Himmel erhellte, der bereits von einer dichten Rauchwolke bedeckt war und das Ozonloch – diesen naturkatastrophischen Mythos – noch ein wenig größer machte. Lachend verabschiedete er seine Freunde, ging mit einem aufgesetzten Grinsen in die Nacht hinaus und ermahnte sich gedanklich, all die Notizen nicht zu vergessen, die sein katastrophales Jahr dokumentieren würden.

„Hast du gesehen, was er schon wieder für ein Gesicht gemacht hat?“ – „Ja, der wirds nie lernen.“ – „Wie auch, wenn man nichts anderes tut, als Scheißerlebnisse zu zählen.“

„Frohes Neues.“ – „Ja ..“