10. Gastbeitrag: Moscow Mule

25.02.10

An dieser Stelle folgt der zehnte Gastbeitrag aus der Blog-Reihe: „Ich sehe was, was du nicht siehst„. Geschrieben, gedacht, gesehen von S., deren Gemeinschaftsblog mit B. und N., dragstripGirl, ihr jederzeit besuchen könnt, wenn ihr mehr von ihr lesen wollt.


Ich kann nicht schlafen, also greife ich instinktiv zum Handy. „Ich vermisse dich“. Als ich die SMS abschicken will, weiß ich nicht, welche Nummer ich eigentlich suche. Ich gehe mein Adressbuch durch, finde nichts.

Da stehen Namen drin, die vor einigen Jahren mal aktuell waren, aber niemand, der ein „ich vermisse dich“ verdient hätte. Doch, eine Person; aber meiner Mutter um diese Uhrzeit so zu verstören, das ist zu viel verlangt.

Im Hintergrund läuft Cat Power. Ich kann nachts nicht mehr schlafen, wenn im Hintergrund keine Musik läuft. Es geht einfach nicht mehr. Aber heute bringt auch das nicht viel.

Ich wundere mich, wieso mein Bett sich so überraschend leer anfühlt. Ich setze mich auf, lege das Handy seufzend weg, setze mich auf die Fensterbank, starre aus dem Fenster in den unbewölkten Himmel und sehe den umnebelten Fernsehturm in einem regelmäßigen Takt rot aufblitzen.

Ich bin unruhig, ungeduldig, irgendetwas fehlt, ich blicke aus dem Fenster und fühle mich wie ein gemaltes Klischee, wie aus einer schlechten Soap genommen, oder einem schlechten Song. Aber wenn es schon so ist, rede ich mir ein, dann mach ich es richtig.

Ich laufe auf Zehenspitzen durch den meterlangen Flur, um meine Mitbewohner nicht zu wecken. Meine Fingerspitzen streichen an der Wand entlang, während ich in meinem Kopf die Namen aller Männer in meinem Leben durchstreiche. Keiner von ihnen.

Ein bisschen Vodka ist noch da, Limetten werden mit Zitronen ersetzt, aus Ginger Ale wird Wasser. Mein eigener, zynischer Moscow Mule. Einer für Arme. Zurück in meinem Zimmer öffne ich das Fenster. Ich zünde eine Kerze an, die, die aus Deko da steht. Aus Cat Power wird J. Tillmann. Ich zünde mir eine Zigarette an. Meine roten Fingernägel leuchten im Licht der Straßenlampen. Der Lärm der späten Autos dringt mir durch die Sinne.

Ich zähle meine besten Freundinnen auf, die schon neben mir geschlafen haben, und verwerfe sie alle; keine von ihnen sollte jetzt noch mal neben mir liegen, keine von ihnen würde mit mir jetzt noch lachen können.

Die Zigarette schmeckt nicht, mein Moscow Mule ist untrinkbar. Ich denke an meinen jetzigen Freundeskreis und an die Menschen, die jetzt in meinem Bett liegen könnte, aber keiner von ihnen würde sich wohl fühlen neben mir. Vielleicht würden wir uns Geschichten erzählen, aber am nächsten morgen wäre es sicherlich peinlich.

Ich werfe die halb gerauchte Kippe aus dem Fenster und schütte den Vodka hinterher. Mir ist kalt, und ich werde langsam müde. In meinem Zimmer riecht es nun furchtbar nach Rauch, in meiner Kehle ist es trocken.

Eine ganze Weile lang blicke ich noch auf das leere Kissen neben mir, und kurz bevor ich einschlafe fällt mir ein, dass ich niemanden vermissen kann. Es hat ja noch nie jemand da gelegen. Nur ich, die Stadt, und der schrecklichste Moscow Mule, den man sich vorstellen kann.

Der nächste Beitrag wird voraussichtlich am 1. März folgen und sich mit einem dieser drei Themen befassen: