Alice und Ich – Melanie Benjamin
08.03.10Was kann ich über dieses Buch sagen? Ich muss zugeben, dass mir die „Bewertung“ – sofern man Bücher wirklich bewerten kann – vergleichsweise schwer fällt. An erster Stelle sollte gesagt sein: Ich bin bei dem Alice im Wunderland Buch von Lewis Carroll nie über die ersten 20 Seiten hinaus gekommen, weil mir sein Schreibstil nicht gefiel. Habe aber selbstverständlich verschiedenste verfilmte Versionen gesehen und .. ja, ich habe Alice in mein Herz geschlossen. Die kleine, verträumte Alice, die durch das Wunderland stolpert und auf genial konzipierte Gestalten wie Dideldum und Dideldei, die Grinsekatze und Metaphern wie das Walross und der Zimmermann stößt. Alice gehört – ebenso wie Peter Pan – zu einer meiner unantastbaren Kindheitserinnerungen und dem entsprechend skeptisch stehe ich nun diesem Buch von Melanie Benjamin gegenüber, die die Geschichte von Alice erzählt – das aber völlig anders.
Auf einmal verliert Alice ihren kindlichen Charme und die Geschichte von ihr und Lewis Carroll erhält etwas verruchtes und unangenehmes. Während des ganzen Buches zog sich dieses leicht pädophile Gefühl durch die Zeilen, sobald Alice und er aufeinander trafen und beschrieben wurde, wie der 20 Jahre ältere Mann das kleine Mädchen anschaut und vor Liebe vergeht. Nur selten bekam ich den leicht angewiderten Blick aus meinem Gesicht.
Gleichzeitig ist das Buch jedoch – rein sprachlich betrachtet – schön und mitreißend geschrieben. Nach 20 Seiten war ich gefangen, nach weiteren 20 vergaß ich, dass ich eigentlich eine Hausarbeit schreiben müsste und verlor mich in diesem Buch, das so voller Schmerz und Unverständnis ist. Trotzdem frage ich mich, ob ich all das wissen wollte? Wollte ich wissen, dass ein 20 Jahre älterer Mann auf Klein-Alice stand? Wollte ich wissen, dass Alice – in all ihrer kindlichen Unschuld gefangen – diese Gefühle erwiderte und glaubte, den Mann heiraten zu können?
Das Buch war sofort zum Klassiker geworden und Mr. Dodgson schickte mir pflichtschuldigst Exemplare jeder neuen Auflage, auch der Übersetzungen. Und als Alice hinter den Spiegeln erschien, schickte er mir auch das. In seiner verquere, gewundenen Art beharrte er darauf, mir auch dieses Buch zu widmen.
Was sollte ich damit anfangen? Damit, dass ich für immer ein Kind von sieben Jahren blieb, und das durch den Mann, der mich früher zur Erwachsenen gemacht hatte, als ich es mir je gewünscht hätte? Es hatte mich Jahre gekostet, dieses sein letztes, so ungeheuer verwirrendes Rätsel überhaupt als solches zu erkennen. Ich zweifelte, ob ich es je würde lösen können.Alice und ich – Melanie Benjamin
Preis vs. Leistung:
[rating:90]
Das gebundene Buch kostet 19,95 – ein völlig normaler Preis, den ich durchaus zu zahlen bereit wäre.
Schreibstil:
[rating:60]
Netter Schreibstil, definitiv mitreißend, aber definitiv kein Meisterwerk in Sachen Sprache.
Story/Idee:
[rating:80]
Wobei ich hier weniger die Story bewerte – die ja nun keine fiktive ist und somit nicht bewertet werden kann – sondern viel mehr die Umsetzung.