16. Gastbeitrag: Bauchnabelflusen

30.03.10

An dieser Stelle folgt der 16. Gastbeitrag aus der Blog-Reihe: „Ich sehe was, was du nicht siehst„. Geschrieben, gedacht, gesehen von Elisabeth Rank, deren Blog mevme ihr jederzeit besuchen könnt, wenn ihr mehr von ihr lesen wollt – sollte euch auch das nicht reichen, könnt ihr außerdem ihr Buch „Und im Zweifel für dich selbst“ kaufen.


Bernstein.

Jeden kleinen Fetzen habe ich aufgehoben. Ich habe sie gesammelt und in eine Schublade gelegt und ich habe geglaubt, irgendwann könnte ich mir daraus ein Kleid nähen. Irgendwann würde ich mir aus einer Zeitung ein Schnittmuster herausreißen und mich hinsetzen und konzentrieren und meinen Fuß auf dem Nähmaschinenpedal auf und ab bewegen und aus den Flusen meines Bauchnabels würde etwas, das ich mir vielleicht um die Schultern legen könnte irgendwann. Etwas, das man mit zu einem Picknick nehmen könnte, vielleicht wäre es die Decke selbst und alles, was man je an seinen Bauch gelassen hat, wäre eingewebt und hätte einen Sinn gehabt.

Sommer um Sommer hab ich das verschoben. Ich habe ein kleines Schränkchen gekauft, später eine Kommode, jetzt ist es ein Schrank. Man darf die Türen nicht öffnen, sonst fliegt einem meine Bauchgefühlvergangenheit um die Ohren, die meisten halten das nicht aus. Also stehe ich vor den Schranktüren, wenn Besuch kommt. Ich stehe dort und lächle nett und verschränke die Hände hinter dem Rücken, dort wo die beiden Türen sich treffen, wo sie ein bisschen verstärkt sind. Manchmal trage ich den Schlüssel zur Sicherheit in meiner Hosentasche mit mir herum, dann kommt niemand auf dumme Ideen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Sommer kommt, in dem ich mich trauen werde, in den Schrank zu steigen. Ich weiß nicht, ob es einen Tag geben wird, an dem ich mit meinen Händen hineingreifen und alles rauswerfen und vielleicht sogar aussortieren kann. Vorstellbar, dass manche Stücke für einen Quilt besser geeignet sind als andere, auch farblich eher zueinander passen. Ich habe nie behauptet, meine Vergangenheit hätte etwas mit einem Regenbogen zu tun. Um ehrlich zu sein, ich habe nicht so genau hingesehen. Morgens immer hab ich das T-Shirt hochgeschoben, das kleine Stück Nacht und Tag und Nacht in die Faust genommen und zu den anderen gesteckt, gestopft, geworfen. Den Federkern im Kreuz, den Schlaf noch in den Augen.

Einmal hab ich mal geschaut. Neulich. Aus Versehen, denn sie ist mir runtergefallen, die Fluse. Und ich hab gedacht, das könntest du sein, die könnte von dir sein, das könnten wir sein. Ich hab sie aufgehoben und zum ersten Mal hab ich eine nicht zu den anderen gelegt. Zwischen zwei Finger hab ich sie genommen, bin auf Zehenspitzen zurück ins Bett und dann hab ich sie angeschaut, dich angeschaut, mich angeschaut zum allerersten Mal. Ich hab sie zurück in den Bauch gelegt und den Schlüssel verschluckt, bin nie wieder aufgestanden, damit sie nicht rausfällt. All die Jahre umsonst. Ich kann den Schrank sehen von hier aus, ich liege hier immer noch. Man kann doch nicht einfach aufstehen, das könnten wir sein. Und den Staub puste ich mir hin und wieder aus dem Gesicht, er setzt sich sonst fest.

Der nächste Beitrag wird voraussichtlich am 3. April folgen und sich mit einem dieser drei Themen befassen: