25. Gastbeitrag: Gegenwart

27.05.10

An dieser Stelle folgt der 25. Gastbeitrag aus der Blog-Reihe: „Ich sehe was, was du nicht siehst„. Geschrieben, gedacht, gesehen von taraia, deren Blog irish spring ihr jederzeit besuchen könnt, wenn ihr mehr von ihr lesen wollt.


Es ist kein Klacken zu hören, wenn sie auf dem Gehsteig entlang geht – immer ein bisschen mehr auf der rechten als auf der linken Seite, unabhängig davon in welche Richtung sie sich bewegt. Auch könnte man, wenn man mit seinem Ohr direkt auf dem Boden neben ihr horchen würde, kein Dröhnen hören, kein massives Poltern und allerhöchstens ein leises Quietschen oder ein Knirschen, wenn zuvor ein bisschen Schnee gefallen wäre.

Es ist jedoch nicht so, dass sie sich geräuschlos fortbewegt. Wenn es an einer Straßenecke ganz leise ist und sie kurz anhält, bevor sie die Fahrbahn überquert, wenn man dann genau neben ihr steht, ganz nah, und wenn man dann kurz den Atem anhält, dann kann man sie hören. Wie die Luft aus ihren Lungen fließt, wie ganz leise die Musik, die sie in ihre Ohrmuscheln klingen lässt, sich einen winzigen Weg zurück ins Freie sucht, wie ein Stück Papier in der Tasche ihres Mantels raschelt, wenn sie ihre Hand ein wenig bewegt. Man kann, wenn man ganz nah ist, hören, wie sie schluckt, wie sie etwas tiefer einatmet, wenn sie beschlossen hat nun wieder einen Fuß vor den anderen zu setzen. Und wenn sie dann weiter geht, dann reiben ihre Hosenbeine aneinander und das Innenfutter ihres Mantels streift über den Jeansstoff. Würde man sich die Zeit nehmen dann genau neben ihr zu gehen und alle Geräusche der Welt auszublenden, dann würde man in all dem Rascheln im Rhythmus ihrer Schritte ein hypnotisches Muster wahrnehmen und sich in dessen Unregelmäßigkeit verlieren können.

Sobald sie die Hauptstraße verlässt, die mit den Straßenbahnschienen in der Mitte und den vielen Geschäften zu beiden Seiten, um in eine etwas ruhigere Nebenstraße einzubiegen, gleitet ihre rechte Hand aus der Manteltasche in die Kälte und gleich darauf hinein in ihre Handtasche, die selten geschlossen ist – höchstens in großen Menschenmengen, wenn die Warnung vor Taschendieben kurz durch ihren Kopf geistert. Ein Griff in die Seiteninnentasche und schon zieht sie die Hand wieder heraus und lässt sie zurück in den Mantel sinken, wo sich die Wärme nun im Vergleich zur frostigen Außenwelt noch gemütlicher anfühlt als zuvor. Nur das kühle Metall der Schlüssel, die sich nun in ihrer Hand befinden, stört sie ein wenig. Leise, aber doch deutlich hörbar, lässt sie die Schlüssel gegeneinander stoßen und ein unregelmäßiges Klimpern erzeugen. An einem mittelgroßen Ring einer für die Haustür, einer für die Wohnungstür, für den winzigen Kellerraum, den Schuppen im Garten, die Haustür ihrer Eltern, das Bürogebäude in dem sie halbtags arbeitet, das Fahrradschloss, den Briefkasten und für ein Schloss, dessen Existenz sie nicht mehr einordnen kann. Es klimpert immer auf ihren letzten Metern. Ob sie nun nach einem Großeinkauf mit Taschen und Tüten beladen den Schlüsselring gerade so an einem einzigen Fingern baumeln lässt, um ihn dann nach etwa 300 Metern beim Versuch die Tür zu öffnen fallen zu lassen und zischend zu fluchen. Oder ob sie in den Morgenstunden, wenn die frische Luft den Blick langsam wieder etwas klarer werden lässt und die Musik und das Lachen, die als Nachwehen im Kopf hin und her rauschen, langsam leiser werden, mit beschwingten Schritten oder manchmal auch etwas langsamer, nachdenklicher über den Asphalt wandelt und dabei mit dem Klingen der Schlüssel die Melodie imitiert, die eventuell noch Jahre später den Gedanken an die vergangene Nacht hervorblitzen lassen kann.

Diese Bewegungen und Geräusche, die sie bewusst kaum noch wahr nimmt, die automatisch ablaufen – immer und immer wieder – die ein kleines Puzzlestück ihres täglichen Lebens und ihrer eigenen kleinen Welt sind, die können einem vorbeigehenden Menschen, der eben auf dem Weg zur Arbeit ist oder zum Bäcker oder einer flüchtigen Bekannten – die vielleicht eine Freundin werden könnte, wenn man sich gut versteht und das Lachen, das man sich ab und zu bei gelegentlichen Gesprächen auf einem Flur oder während beide auf eine Straßenbahn warteten, schenkte nicht gestellt war – diesem Menschen könnte das Klimpern, die kleine Melodie oder das Rascheln von Stoff auf Stoff auffallen. Vielleicht würde er ein paar Tage später, wenn er im Postgebäude in einer Schlange darauf warten würde, endlich ein lang erwartetes Paket abzuholen, das der Postbote nicht beim Nachbarn abgegeben hatte, als er bei der Arbeit war, dieses Klimpern ganz hinten in seinem Gedächtnis hören und im Takt dazu fast unmerklich mit dem Fuß auf den Boden tippen, während hinter ihm eine Frau versucht, ein kleines Kind in einem Kinderwagen zu beruhigen, das nicht aufhören will oder vielleicht auch nicht aufhören kann zu weinen. Vielleicht würde er aber auch im Vorbeigehen die Frau betrachten, die dort mehr auf der rechten als auf der linken Seite in Gedanken verloren scheint. Und vielleicht würde er ihr irgendwann ein weiteres Mal begegnen. Und vielleicht würde er irgendwann verstohlen lächeln, wenn irgendwo jemand seinen Schlüsselbund besonders auffällig aus der Tasche kramt.

Der nächste Beitrag wird voraussichtlich bald folgen und sich mit einem dieser drei Themen befassen: