27. Gastbeitrag: Das erste Mal

21.06.10

An dieser Stelle folgt der 27. Gastbeitrag aus der Blog-Reihe: „Ich sehe was, was du nicht siehst„. Geschrieben, gedacht, gesehen @Judetta, der ihr jederzeit auf Twitter folgen könnt, wenn ihr mehr von ihr lesen wollt.

Tag 1

„Ach Du Schreck“ denkst du, als du gefragt wirst, und „Nie im Leben wird das was.“ Deine Hände werden feucht und du bist schlagartig aufgeregt, stehst auf, gehst zum Fenster, trinkst einen Schluck Kaffee und blinzelst in die Sonne. Viel Zeit ist das nicht, was sind schon vier Tage, aber eigentlich… müsste das doch zu packen sein? Du weißt, dass das Schreiben dir eigentlich nicht schwer fällt, auch wenn du bisher nur Tagebuch geschrieben hast, unzählige, nie abgeschickte Briefe und die Rede für die Hochzeit deiner Schwester. Du gehst im Zimmer auf und ab, bildest dir ein, darüber nachzudenken, ob du es tun sollst oder besser lässt, aber du hast die Entscheidung längst getroffen. Du wirst ihn schreiben, diesen Text, der seit geraumer Zeit in deinem Kopf umherfliegt. Deine Nerven sind wachgekitzelt und eigentlich kannst du es kaum erwarten, deine Gedanken endlich auf Papier zu bringen.  Aber noch nicht jetzt, nicht gleich, du hast ja noch vier Tage.

Tag 2

Du musst dem Kind einen Namen geben…  Also legst du eine neue Datei an, benennest sie sorgfältig und speicherst sie direkt auf dem Desktop – schließlich wirst du in den nächsten Tagen und Stunden viel Zeit mit ihr verbringen. „Gedankenspielplatz_1“.  Da liegt es nun, das leere Blatt, das beschrieben werden möchte, ganz unberührt. In deinem Kopf schwirren Satzfetzen umher, aber sie lassen sich nicht fassen, nicht ordnen. Ganze Abschnitte hast du dir schon zurechtgedacht, aber nichts ist schwerer, als das erste Wort zu finden.

Strom. Du brauchst dringend Strom, nicht, dass mittendrin der Akku seinen Geist aufgibt und das ganze Werk hinüber ist, du nochmal von vorne anfangen musst. Wenn du dich nur erinnern könntest, wo dieses verdammte Ladekabel ist… Du kannst es nicht finden, aber bei deiner Suche danach fällt dir auf, wie unordentlich dein Schreibtisch ist. Überhaupt, die ganze Wohnung müsste dringend mal wieder geputzt werden, sicherlich findet sich dabei auch dieses verflixte Kabel wieder an. Und wann hast du eigentlich zum letzten Mal deinen Kleiderschrank aufgeräumt?

Tag 3

Du bist nervös. Zwei Tage hast du schon vertrödelt, die Wohnung glänzt, dein Schreibtisch ist so ordentlich wie der eines Arbeitszimmers in der Möbelausstellung und frischen Kaffee hast du dir auch gekocht.  Du starrst auf den Bildschirm, tippst Worte und löschst sie wieder, bevor sie zu Sätzen werden können. Irgendwie ist dir schlecht. Du hast Angst, zu versagen, den Text nicht rechtzeitig fertigzustellen und wenn doch, dass er nicht gefällt. Dass keiner versteht, was du eigentlich sagen möchtest und niemand die Bilder sieht, die du mit Worten zu malen versuchst. Mittlerweile bist du nicht mal mehr sicher, ob es eine gute Entscheidung war, den Text zu schreiben. Auf was hast du dich da bloß eingelassen?

Struktur. Du bist davon überzeugt, dass alles viel leichter wäre, wenn du nur eine Struktur hättest. Also beginnst du zaghaft, deine Gedanken zu sortieren. Erst fließen sie ganz zögerlich, auf einmal immer schneller. Ganz versunken schreibst du, schreibst einfach alles auf, was dir durch den Kopf geht, reihst Wort für Wort und Satz für Satz aneinander und füllst Seite um Seite. Als der Kaffee längst kalt und der Tag fast vorüber ist, sind alle Gedanken auf Papier gebannt und du bist fertig, du hast deinen ersten Text geschrieben und es fühlt sich gut an.

Tag 4

Der Tag der Abgabe. Du schaltest den Rechner ein, liest deinen Text noch einmal durch und merkst, wie in dir ein Anflug von Panik aufsteigt. Du hast das Gefühl, als wäre der Text nicht fertig, als würde ein entscheidendes Detail, das entscheidende Detail, fehlen. Du beginnst, Sätze und ganze Passagen umzustellen, Worte auszutauschen und zweifelst. Du spielst sogar mit dem Gedanken, alles  zu verwerfen und von vorn zu beginnen.

Mut. Was dir fehlt, ist der Mut, den Text zu mögen und ihn abzuschicken. Ihn ab- und dich damit einem fremden Urteil auszuliefern. Du stehst auf, gehst zum Fenster, trinkst einen Schluck Kaffee  und blinzelst in die Sonne. Fasst neuen Mut und gehst zurück zum Schreibtisch. Und dann schickst du ihn ab, deinen ersten Text. Und es fühlt sich gut an.

Tag X

Unendliche lange Wochen sind vergangen, als es an der Tür klingelt und der Postbote dir ein geschnürtes Paket überreicht. Du ahnst, um was es sich handelt, unterschreibst den Empfang und legst das Paket auf deinen Schreibtisch. Da liegt es, druckfrisch, und wartet nur darauf, von dir geöffnet zu werden.

Kaffee. Mit einem Kaffee hat es angefangen und soll auch damit enden. Du gehst in die Küche und bereitest alles vor, gehst zurück zum Schreibtisch und öffnest das Paket. Du nimmst eines der Exemplare, gehst zum Fenster und blinzelst in die Sonne. Dann trinkst du einen Schluck Kaffee und schlägst es auf, das Magazin, suchst die Seite, auf der er zu finden ist, schwarz auf weiß, dein erster Text. Du liest ihn dir durch, lächelst, blinzelst wieder in die Sonne und es fühlt sich gut an.

Der nächste Beitrag wird voraussichtlich bald folgen und sich mit einem dieser drei Themen befassen: