Capri Sonne
22.06.10„Zurück in die Kindheit.“, denke ich mir, fühle mich dabei ein wenig martymcflyig, weil zumindest drei von vier Worten stimmen und greife dann selbstzufrieden lächelnd nach der Capri Sonne, ehe ich mir ein wenig dämlich vorkomme und mich freue, dass um diese Uhrzeit nur schuleschwänzende Scheißblagen im Supermarkt unterwegs sind, die sich ohnehin nur für sich selbst interessieren. Die merken gar nicht, ob ich dümmlich grinsend vorm Regal stehe und Kinderzeugs kaufe oder ganz seriös gucke, während ich die Kalorienmenge von Käse Nummer 1 und Käse Nummer 2 vergleiche, nur um mich letztendlich für den fettreduzierten Finesseschinken zu entscheiden, den ich nicht mag, der aber wenigstens nicht fett macht.
Ich kaufe also Capri Sonne und jedem ehemaligen Capri Sonne Trinker müsste klar sein, für welche Sorte ich mich entschied, obwohl ich wenigstens ein paar Sekündchen überlegte und den anderen eine Chance gab, mich zu überzeugen: Kirsche. Natürlich ist es Kirsche.
Früher hat meine Mama mir manchmal Capri Sonne mit zur Schule gegeben. Aber nicht oft, weil das Zeug ungesund ist. Meistens gab es stattdessen konservierungsmittelfreien Fruchttiger, der immer irgendwie komisch schmeckte – wahrscheinlich weil meine Zunge sich schon so sehr an den Chemiegeschmack der Welt gewöhnt hatte, dass sie alles wirklich natürliche als falsch empfand. Btw gab meine Mama mir auch selten Toast mit, obwohl ich das nährwertarme „Brot“ so gerne mochte. Das war aber weniger tragisch als die Sache mit der Capri Sonne, weil der Ersatz viel besser war: Es gab megagroße und fancy belegte Körnerbrötchen mit Salat, Kinderwurst (mir egal, wenn die Wurst bei euch anders genannt wird, hier heißt dat Kinderwurst), Tomaten, Gurken und einfach allem, was man sich nur vorstellen konnte. Manchmal gab es auch ausgestochenes Vollkornbrot, sodass ich kleine Sterne und Monde frühstücken konnte, während meine Mitschüler Toast verdrückten und neidisch auf meine Sachen starrten. Man könnte meinen, meine Mama hätte die Bento-Box nach Deutschland und in meine Brottüte gebracht, wenn man nicht wüsste, dass sie mit Japan nichts am Hut hat, während mein Bruder japanophil ist.
Wie dem auch: Ich habe Capri Sonne früher geliebt und immer, wenn ich eine mit zur Schule bekam, war ich ganz aus dem Häuschen. Das Erlebnis heute war hingegen eher enttäuschend. Vielleicht habe ich die Dinger damals nicht getrunken, weil ich Durst hatte. Vielleicht war es wirklich nur die Gier, denn .. Durst stillt das Zeug nicht. Und heute fiel mir auf, dass meine Ma immer Recht hatte: Das Zeug schmeckt nach Wasser, Zucker und rotem Farbstoff.
Manche Erinnerungen sollte man nicht auffrischen, glaube ich. Das kann viel mehr zerstören, als man anfangs vielleicht glaubt. Spätestens jetzt weiß ich auch: Meine Kinder werden auch nur selten Capri Sonne kriegen. Die Armen.