Zeit vergeht und schweigt

24.07.10

Zum ersten Mal seit Jahren klingelt mein Telefon nicht mehr abends gegen 19 Uhr. Ich höre niemanden, der mir stolz erzählt, dass er wieder einmal erfolgreich Nudeln gekocht hat, ohne sie anbrennen zu lassen. Keine Geschichten über Kunden, kein nur nachlässig verborgener Stolz in seiner Stimme, nachdem ich ihm von meiner erfolgreich gelaufenen Klausur erzählt habe und kein Beruhigen, sobald ich meine Zweifel über den jeweiligen Ausgang äußerte.

Ich will mich nicht erinnern, weil dann die Tränen kommen. Ich will nicht vergessen, weil sie auch dann nicht ausbleiben. Ich will mich nicht mit alle dem befassen und so tun, als wäre alles in Ordnung, aber das ist es auch nur solange, bis das Telefonklingeln gegen 19 Uhr ausbleibt.

Gleichzeitig mischt sich in die Trauer immer mehr Angst. Wie soll ich das alles ohne seine Hilfe schaffen? Wer wird mir zuhören und gut zureden, wenn ich nicht weiter komme? Wie bezahle ich meine Studiengebühren? Ich glaube, es fiele mir leichter, glaubte ich nicht an ein Leben nach dem Tod, aber dadurch, dass ich daran glaube, stellt sich mir unweigerlich die Frage: Was ist, wenn er „sieht“, wie schlecht es mir zeitweise geht? Er würde sich Vorwürfe machen und das ist das Letzte, was ich will, also funktioniere ich. Ich funktioniere, ja. Zumindest soweit es mir möglich ist.

Ihr müsst das übrigens nicht lesen, was ich zur Zeit von mir gebe. Ihr müsst mir nicht sagen, dass es euch Leid tut, dass ihr mir Kraft wünscht oder was auch immer. Auch in meinem Freundeskreis gibt es Menschen, die einen anderen verloren haben und ich stehe dann da, wie ihr da steht: Wortlos, hilflos, unbeholfen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll und vielen von euch geht das sicher auch so, also .. Ihr müsst nichts sagen. Ihr müsst es nicht einmal lesen. Aber ich muss es schreiben.