Da bleibt nicht viel
29.07.10Es ist schon wieder mitten in der Nacht und eigentlich bin ich hundemüde, aber ich finde keine Ruhe und mit jeder weiteren wachen Minute nehmen meine Kopfschmerzen zu. Obwohl ich einen schönen Tag hatte, der zumindest in Teilen der Art entsprach, wie ich meine Tage seit Monaten verlebe, war er gefüllt mit Schuldgefühlen und Wehmut. All die Dinge, die ich erlebe, kann er nicht mehr erleben und ich kann ihm auch nicht mehr davon erzählen. Bei jedem Lachen denke ich mir direkt im Anschluss: „Wie kannst du lachen, dein Vater ist tot.“ und das Lachen verschwindet dorthin, wo es herkam, ohne, dass er mit mir gelacht hätte. Mir graut vor dem Tag, an dem ich meine Soziologieklausur zurück bekommen werde, denn ich denke, dass ich bestanden habe und das vielleicht gar nicht mal so schlecht, obwohl ich in Klausuren noch nie besonders gut war, aber .. je besser sie ist, desto schlimmer wird es sein, weil er mir nicht sagen kann, dass er stolz auf mich ist. Gerade bei den soziologischen und politischen Themen gefiel es ihm immer, wenn ich gute Noten erzielte, vielleicht auch, weil er mein Wissen bereits vorher abfragte und die Klausur zu unserer machte.
Als ich heute Morgen von Fernsehsender zu Fernsehsender zappte, blieb ich an einer Dokumentation über Tierkliniken hängen und der Operationssaal wurde gezeigt – sofort dachte ich wieder an ihn. Was waren wohl die letzten Worte, die er dort von sich gab? Vermutlich war es etwas wie „Drehen Sie die Medikamente ruhig voll auf, damit ich davon rauschen kann.“, aber .. sollte man sowas nicht wissen?
Vor wenigen Tagen überschlugen sich die Gedanken in meinem Kopf noch; ein Wort stolperte über das andere, fielen übereinander, verhakten sich und was blieb, war ein verwirrendes Knäuel aus teils drängenden teils unwichtigen Gedanken, die alle eine Entscheidung forderten – auf ihre Weise.
Jetzt ist Ruhe eingekehrt, aber statt Erleichterung zu empfinden, wird die Last der Zeit immer schwerer. Immer wieder kommen die Erinnerungen, lassen sich Zeit und verschwinden nur, wenn ich sie gewaltsam bei Seite dränge. Ich wünsch mir Leere.
Leere, die auch direkt all die Ängste verschlingt, die inzwischen in mein Leben getreten sind und mich – wie auch jetzt um 4:05 – nicht mehr schlafen lassen. Meine Augenringe empfinde ich mittlerweile als so störend, dass ich mir einen Concealer zugelegt habe. Ich, die immer gegen Make-Up und Co war, kaufte mir einen Concealer und empfinde ihn tatsächlich als eine Verbesserung.
Ich habe Angst, dass ich nur noch wenige Monate genug Geld habe, um mich zu finanzieren. Ich habe Angst, dass ich aus meiner geliebten Wohnung ausziehen und mir etwas kleineres suchen muss. Ich habe Angst davor, keinen Job zu finden, wie es auch schon in den letzten Jahren war. Ich habe Angst, dass sich alles ändern wird, was mir Sicherheit gibt. Ich habe Angst vor dem Morgen, an dem ich aufwachen werde und feststelle, dass all das kein böser Traum ist.
Ich versuche, mich mit Normalität über Wasser zu halten. Gerade ist es ein Gespräch mit Tim über eine uns ehemals unbekannte Band, die wir gerade bei einer Dokumentation auf arte sahen. Davor war es das Nachkochen eines Rezeptes aus dem Kuriositätenladen. Aber sobald diese Ablenkungen enden bzw. sobald sie ihre Wirkung verlieren, ist alles sofort wieder da. Alles. Deswegen werde ich jetzt solange Gossip Girl Folgen gucken, bis ich zu müde sein werde, um die Augen länger offen zu halten. Oder solange, bis alle Folgen geguckt sind, was vermutlich früher eintreten wird, als mir lieb ist.