Wunschzettel

19.12.10

(Via)

Mit den Füßen wippend sitze ich auf dem Stuhl, der mir noch viel zu groß ist, sodass meine Beine den Boden nicht erreichen. Meine Aufregung unterdrückend beuge ich mich tief über das noch weiße Papier auf der Tischplatte vor mir und wie immer, wenn ich mich konzentriere, schleicht meine Zungenspitze sich immer weiter nach vorne, bis auch der Dümmste merkt, wie fokussiert ich bin. Die größten Teile des Prittstiftes landen an meinen kleinen Fingern, als ich die Rückseite eines Papierstückes damit einschmiere. Ich hebe es an, will es auf das weiße Blatt kleben und muss erstmal darum kämpfen, es von meinen klebrigen Fingern zu lösen. Ein Blick zur Seite zeigt mir: Bei meinem jüngeren Bruder kleben die ersten Fetzen bereits akurat nebeneinander auf dem Blatt und ich weiß, dass es bei mir am Ende nicht so aussehen wird. Wild verteilt kleben schließlich einige Fetzchen bei mir, wesentlich mehr bei ihm.

Erst jetzt darf ich meiner Aufregung wieder nachgeben, hangel mich von dem Stuhl, der kwietschend über den Boden rutscht, schnappe mir mein Blatt, das sofort an meinen Prittfingern festklebt, renne zu meiner Mama und halte es ihr strahlend hin. Mein Bruder kommt hinterher getrottet und überreicht ihr seine Liste. Gemeinsam gehen wir durch das Wohnzimmer zum Fenster. Mama klebt unsere Blätter nebeneinander an die Scheibe – die weiße Seite nach innen, die beklebte nach außen. Ich friemel an meinen Fingern und rolle kleine Kügelchen aus den Prittresten, während meine Mama uns erklärt, dass die Listen so rum hängen müssen, damit das Christkind sie lesen kann, wenn es vorbeifliegt und die Wünsche der Kinder für Weihnachten einsammelt. Ich sammel Kügelchen in meiner Hand und stelle mir das Christkind vor, wie es in einem weißen Kleidchen durch die Nacht fliegt, sodass die goldenen Schillerlöckchen im Wind wehen und sich ganz wild um sein Gesicht legen, während seine blauen Augen immer wieder hinab auf die Scheiben der Häuser blicken, um die Wünsche auf den Zetteln zu lesen. Nur bei unseren muss es nichts lesen, weil wir noch nicht schreiben können und unsere Wünsche deswegen aus Werbezeitschriften ausgeschnitten und auf das Papier geklebt haben.

Mama ruft, dass wir jetzt Plätzchen anmalen dürfen. Achtlos lasse ich die Prittkügelchen zu Boden fallen und renne in die Küche. Hoffentlich gibt es rosafarbenen Zuckerguss und die bunten Streusel.