Julia: Kindheitserinnerung

30.12.10

Eine winzige neue Gastbeitragsreihe steht uns ins Haus, während die alte keineswegs beendet ist, sondern nur ein wenig lustlos vor sich hin faulenzt und darauf wartet, dass etwas geschieht. Verschiedene Schreiber werden euch hier nach und nach ein paar Kindheitserinnerungen spenden. Falls ihr ebenfalls eine Kindheitserinnerung habt, die ihr hier veröffentlichen wollt, schickt sie mir an HannahKraus@gmx.de und wenn sie mir gefällt, wird sie gepostet.

Der nächste Beitrag kommt von Julia, die gerade den Polaroidmedchen-Blog verlassen hat, aber zum Glück noch auf Twitter rumschwirrt.

Ich weiß nicht, wer sich diese Onkel- und Tante-Sache ausgedacht hat.

In meiner Kindheit, die auch noch nicht allzu lange zurück liegt, war es allerdings üblich, so ziemlich jeden Nachbarn unabhängig von deren Alter mit Onkel Vorname und Tante Vorname anzusprechen.

Im Haus neben uns wohnen Onkel H und Tante B.

Unsere Häuser haben jeweils einen Hinterhof, die direkt aneinander grenzen. Der kleine, feine und bedeutende Unterschied zeichnete sich allerdings in der Höhe aus: Unser Hof lag einen guten Meter über deren. Ich, im Alter von vier oder fünf Jahren, war also nicht mehr erheblich kleiner als mein Nachbar Onkel H, der auf dem Hof stand.

An einem warmen Nachmittag, ich war maximal vier oder vielleicht fünf Jahre alt, stand Onkel H auf seinem Hof und wusch sein grau-silbernes Auto. Er hatte den Schlauch an ihren Wasserhahn angeschlossen und spritzte das kühle Wasser auf das Auto. Der Dreck floss daran hinunter, ich ging zum Zaun, fragte, warum es so dreckig sei, und wie er halt so war, spritzte er mich mit dem kalten Wasser nass.

Das tat er an diesem Tag nicht zum ersten Mal und er fand es wie immer ziemlich lustig. Ich war da eher anderer Meinung.

Ich ging vom Zaun weg, spielte eine Weile im kleinen Sandkasten. Irgendwann kam mein Vater, stellte sich an den Zaun und unterhielt sich mit Onkel H, der sich an den Zaun lehnte. Ich glaube, sie redeten über Heizölpreise – jeder redete mit meinem Vater über Heizölpreise. Er also bestimmt auch.

Auf dem Hof direkt neben der Tür nach draußen stand eine Regentonne, die das Regenwasser vom Dach sammelte und zum Blumengießen benutzt wurde. Daneben stand der pinke, von der Sonne ausgebleichte Kindereimer mit Pinocchio-Gesicht. Ich ging also zur Regentonne, füllte den Eimer bis zum Rand, lief mit diesem Eimer zum Zaun und leerte ihn über dem Kopf von Onkel H aus.

Ich kann mich nicht mehr an seine Reaktion erinnern. Mein Vater und ich, wir lachten, das weiß ich noch genau. Und Onkel H stand auf jeden Fall dort mit nassem Haar und nassem Hemd und ließ mich fortan in Ruhe. Er spritzte mich nicht mehr nass und bewarf mich nicht mehr mit Schnee wie die anderen Kinder der Nachbarschaft.

Und ich, ich war zum ersten Mal ein kleines bisschen stolz auf mich. So stolz, wie vier- oder fünfjährige Kinder nun einmal sind.