Lesezirkel 2

08.07.10

Der Lesezirkel von Marcel geht in die zweite Runde, nachdem ich noch immer nicht das Buch aus der ersten Runde bekommen hab – ist aber nicht so schlimm, das für die zweite Runde nenne ich immerhin inzwischen mein Eigen.

Für die, die eventuell nicht mitbekamen, worum es geht: Jeden Monat wird ein anderes Buch vorgeschlagen, von allen Teilnehmern gelesen und am Ende rezensiert. Diesen Monat ist es „Die Eleganz des Igels“ von Muriel Barbery, deren Nachnamen ich ständig falsch schreibe, obwohl der doch gar nicht so schwierig ist.

(Via)

Die Autorin wechselt während des Erzählens immer wieder zwischen den Perspektiven von Paloma, eine 12jährige, die beschlossen hat, sich an ihrem 13. Geburtstag umzubringen, der Concierge Renée, die sich gekonnt die Maske einer plumpen, kohlkochenden Concierge aufsetzt und Monsieur Ozu, ein distinguierter Japaner, der alles zu durchschauen scheint.

Gleich an den Anfang treten Palomas Gedanken zu der Gesellschaft und der Welt der Erwachsenen, die sie auf ernüchternde Art und Weise mit Goldfischen vergleicht, die immer und immer wieder stumpf gegen das Glas ihres Beckens stoßen und wenn es eines gibt, was sie für sich nicht anstrebt, dann ist es, solch ein Leben zu führen, das im Endeffekt keinen Sinn hat. Enervierend hingegen das zu häufig stattfindende Betonen ihrer Intelligenz, mit der sie selbst die Erwachsenen übertreffe und die so ausgeprägt sei, dass sie sich in der Schule darum bemühen muss, wie eine normale Schülerin zu agieren, sodass man ihr ihre Hochbegabung nicht anmerkt.[1. Im Film hingegen ist ihre Art ganz unvergleichlich und bezaubernd, sie hat das abgeklärte Auftreten eines Menschens, der die Welt durchschaut zu haben glaubt, wirkt überlegen, aber nicht arrogant.]

[…] Ich glaube, der Scharfblick macht den Erfolg bitter, während die Mittelmäßigkeit immer noch auf etwas hoffen lässt.
Ich habe also einen Entschluß gefaßt. Ich werde die Kindheit bald verlassen, und wenn ich auch genau weiß, daß das Leben eine Farce ist, glaube ich nicht, daß ich bis zum Schluß standhalten könnte. Im Grunde sind wir programmiert, an das zu glauben, was nicht existiert, weil wir Lebewesen sind, die nicht leiden wollen.

Barbery, Muriel: Die Eleganz des Igels. 2. Auflage, München: dtv 2008, S. 18.

Eleganz der Worte lässt sich jedoch spätestens dann erkennen, wenn die Perspektive gewechselt wird und die Concierge zum Zuge kommt. Aus einer gewissen Distanz heraus betrachtet sie die Welt, speziell ihr kleines Universum in der Rue de Grenelle und behandelt die Bewohner des Hauses mit einer ihr ganz eigenen Art der Amüsiertheit.

Die Aussicht, daß Pierre Arthens heute abend an seiner Tafel als Bonmot die Entrüstung seiner Concierge zum besten gibt, weil er vor ihr eine Inkunabel erwähnt und sie vermutlich etwas Anstößiges darin gesehen hat, erheitert mich außerordentlich.
Gott weiß genau, wer von uns beiden sich mehr erniedrigt.

Barbery, Muriel: Die Eleganz des Igels. 2. Auflage, München: dtv 2008, S. 31.

(Via)

Bleibt der Dritte im Bunde – Monsieur Ozu, der frisch in die Rue de Grenelle 7 gezogene Japaner. Nicht nur Paloma begeistert sich sofort für den höflichen Mann, in dem sie endlich jemanden findet, an dem sie ihre Kenntnisse der japanischen Sprache austesten kann – auch Renée kann sich einer gewissen Sympathie ihm gegenüber nicht verschließen. Gekonnt schaut Monsieur Ozu hinter die Fassade der mürrisch spielenden Concierge, erkennt die Eleganz, die sich hinter ihren Bewegungen und ihrem Sein versteckt und reißt durch kleine Gesten der Aufmerksamkeit immer mehr von ihrer Maske hinunter.

Schreibtechnisch ist das Buch eine kleine Wundervolligkeit. Sätze werden zu halbseitig aufgeführten Kunstwerken, ohne, dass man den Überblick verlieren würde. In einer einfachen Sprache werden die komplexen Gedankengebilde Palomas beschrieben, detailverliebt die Figur der Concierge herausgearbeitet, um anschließend Monsieur Ozu wie einen roten Faden durch die verschlungenen Sätze zu legen und alles miteinander zu verbinden. Die Intellektualität aller drei wird deutlich, ebenso die Gemeinsamkeiten, die ihnen zugrunde liegen.

Eine Leseprobe findet ihr übrigens auch hier. Und allen Lesefaulen empfehle ich, den dazugehörigen Film zu schauen.

Preis vs. Leistung:
[rating:100]
9,90€ – ein normaler Preis, für ein Taschenbuch und fast schon zu wenig für dieses Buch.

Schreibstil:
[rating:80]
Wundervoll leicht, tiefgründig und mitreißend.

Story/Idee:
[rating:90]
Nicht nur, dass die Idee mir im Generellen gefällt, auch die Umsetzung ist mehr als gut gelungen.