Armee vs. Bauernhof
16.12.10Glaubt ihr, dass Kinder sich bei ihren Spielen immer etwas denken? Wirklich immer?
(Via)
Ich glaube, es war in der 7. Klasse, als wir uns dazu entschieden, eine Armee zu gründen. Ich war auf einer Mädchenschule. Ich weiß also nicht, ob sowas auch passiert, wenn die Klassen gemischt sind und es ist mir auch egal, denn wenn ich darüber ernsthaft nachdenken würde, müsste ich dem Ganzen Bedeutung beimessen und dazu bin ich – im Gegensatz zu meiner damaligen Klassenlehrerin – nicht bereit.
Kennt ihr das, dass es immer die seltsamsten und lautesten sind, die eine Klasse anführen? Es sind nie die Streber, die Klassenclowns oder die Hübschen (obwohl es in Hollywoodfilmen immer so aussieht, als seien es genau die) – nein, es sind die, die am lautesten das einfordern, was ihnen nach Teenagermeinung angeblich zusteht. Aufmerksamkeit. Macht. Liebe. Interesse und Faszination. Die lautesten waren wir. Die, die bereit waren, so ziemlich jede Grenze zu überschreiten und sich nicht darum scherten, was die Lehrer dazu sagten, weil .. Mei, wir waren jung. Wir waren unverwundbar. Wer sollte schon irgendetwas gegen uns ausrichten können, wenn nicht mal wir selbst es konnten?
Es war vermutlich irgendein unbedeutender Tag im Herbst. Draußen war es ein wenig frisch, wir liefen alle mit den damals so coolen Daunenjacken rum, die selbst dem magersten Size Zero Model Übergewicht zauberten und als wir hinten bei den Schaukeln saßen, entschlossen wir uns dazu, eine Armee zu gründen. Es gab Leutnants, einen Admiral, einen Oberst. Wir warfen mit Begriffen um uns, die wir in irgendwelchen Büchern gelesen hatten und uns nichts bedeuteten, aber wir brauchten Titel, eine Rangfolge und salutierten wie süße, kleine Mädchen voreinander, die keine Ahnung haben, was sie da tun, es aber ganz besonders entzückend finden. Natürlich konnte man der Armee nicht einfach beitreten. Wer Mitglied werden wollte, musste natürlich tun, was alle Soldaten tun – unter der Wippe durchrobben, sich dabei ganz besonders dumm anstellen, sehr schmutzig werden und anschließend über das vielleicht zwei Meter hohe Klettergerüst klettern. Hört sich nicht schwierig an. War es auch nicht. Es ging nicht darum, Leute auszuschließen, also musste die Probe eine sein, die jeder bestehen konnte. Etwas einfaches. Und das war es: Einfach. Ein paar weigerten sich, durch den Schmutz zu robben – war uns aber egal, die durften dann halt nicht mitspielen.
Hätte sich niemand eingemischt, wäre einige Tage später Schluss damit gewesen und wir hätten ein neues Spiel gefunden. Aber irgendwer von den „Abgelehnten“ (und an dieser Stelle richte ich dir hiermit aus: Du dummer Judas, klettere das nächste Mal einfach über das Scheißgerüst und mach uns keine Probleme!!) sah sich dazu gezwungen, unsere Klassenlehrerin zu informieren. Zu dem Zeitpunkt waren schon verschiedene Klassen involviert, wir hatten einen kleinen Trupp zusammen und ganz ehrlich: Es wurde schon langweilig. Prompt war es aber wieder interessant, als wir „zu einer ernsten Sitzung“ berufen wurde. Innerlich unauffällig zitternd saßen wir in der Klasse, alle 30 Schülerinnern an ihren Plätzen und warteten darauf, was unsere Lehrerin uns wohl zu sagen hatte. Ich glaube, keiner hatte mit dem gerechnet, was kommen sollte: Sie betitelte uns – erst indirekt, dann direkter – als kleine Nazis, behauptete, wir würden das Dritte Reich nachspielen, zwang uns dazu, dass wir alle gemeinsam „Die Welle“ schauten und fragte anschließend – sichtbar zufrieden mit sich selbst – ob wir nun verstünden, aus welchem Grund wir nicht mehr Armee spielen durften.
Ab dem nächsten Tag spielten wir dann Bauernhof. Der Judas wurde eine Kuh, die wir schlachten wollten, aber dann war die Pause zu Ende.