Intensivstation

17.12.10

Wart ihr schon einmal auf einer Intensivstation? Eigentlich könnte man auch sagen: „Wart ihr schon einmal auf der Intensivstation?“, weil .. sie sehen doch ohnehin alle gleich aus, oder?

(Via)

Die Stille, die einem dort entgegenschlägt, ist anders als jedes Schweigen, das ich kenne. Es ist nicht wie das verhuschte Stillsein in einer Kirche, bei dem man leise murmelnd durch die Gänge schreitet und sich unbewusst die ganze Zeit fragt, aus welchem Grund man eigentlich flüstert – die Welt ist so laut, wie könnte es Gott stören, wenn sie es in der Kirche auch wäre? Es ist auch nicht das schmatzende Schweigen in einem Altersheim, in dem die Kinder ausnahmsweise mal nicht ermahnt werden müssen, leise zu sein, weil sie es von alleine sind. Es gleicht weder der Stille in vollgepferchten Schlafsälen einer Jugendherberge während eines Klassenausflugs, nachdem die Lehrerin zum vierten Mal hineingehuscht kam, um zum Schlafen zu mahnen, noch dem entsetzten Schweigen, wenn jemand etwas unerhört peinliches sagte und es so viele mögliche Antworten gibt, dass sie alle für einige Sekunden in der Luft schweben.

Die Stille auf der Intensivstation ist zähflüssiger Sauerstoff, der mit jedem Atemzug tiefer in deine Lungen dringt, alles Gute in dir auslöscht und dich mit Angst, Hoffnung, Verzweiflung, Entsetzen und Trauer füllt. Manchmal piepst etwas. Krankenhausbeschuhte Schritte verhallen in menschenleeren Fluren. Die einzige spürbare Existenz ist das Licht, ausgestrahlt von Lampen, die nicht wissen, was sie tun und ein Leuchten verbreiten, das sich wie Nebel über die Gegenstände legt und sie in Ewigkeit erstarren lässt. Verharrte man zu lange, verwandelte man sich vielleicht auch in einen solchen Gegenstand, dessen Sinn nur von Personal gekannt wird und deren Unsichtbarkeit gegen ihre Existenz ankämpft.

Diese Leere, die dort überall präsent ist, setzt sich fort in den Gesichtern derer, die gleichmäßig atmend in ihren Betten liegen und augenscheinlich schlafen, in Wahrheit jedoch in einem medikamentös hervorgerufenem Nichts schweben, unfähig, sich zu äußern, zu bewegen, zu sein. Je länger man sich solchen Gedanken hingibt, desto drängender wird die Frage aller Fragen. Die Frage, die sich zwangsläufig jeder stellen muss, der einen Schritt hinter die dicken Türen geht, die sich nur öffnen, wenn der Mensch, der am Empfang sitzt, es erlaubt. Ist da jemand? Ist da irgendwo noch jemand? Verbirgt sich noch ein Sein hinter den Lidern, die wirken, als würden sie sich nie wieder öffnen? Befindet sich irgendwo in dieser Hülle noch ein Ich, das mitbekommt, dass vor ihm ein Du steht?

Spürtest du, dass ich da war und mich ganz klein in dieser kalten Welt fühlte? Sehntest du dich auch so sehr danach, das Außen zu sehen und dem Innen zu entfliehen?